
Aufräumen im Datendschungel
Wie das Attitude-Behavior Gap im Datenmanagement zu überwinden istBevor sich Unternehmen und Organisationen über die Möglichkeiten von KI-Tools Gedanken machen, sollten sie zunächst ihre Hausaufgaben machen und sich um Datenexzellenz bemühen. Häufig besteht in diesem Feld jedoch ein großes Attitude-Behavior Gap: Die Unternehmen wissen um die Notwendigkeit des sauberen und strukturierten Umgangs mit Daten, kommen aber oft über das „man müsste mal“ nicht hinaus. Marko Sarstedt, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Felix Schwerin, Berater bei SMP Strategy Consulting und Martin Ridder, Geschäftsführer von „eins energie in sachsen“, haben sich mit der Thematik beschäftigt und zeigen, wie man mit psychologischen Mechanismen zur Datenexzellenz kommt.
Kaum ein Thema bewegt die Geschäftswelt derzeit so sehr wie Künstliche Intelligenz (KI). Unternehmen weltweit nutzen KI, um ihre Geschäftsmodelle und Prozesse zu optimieren. Beispielsweise nutzen Banken und Versicherungen KI-Algorithmen zur Risikobewertung und Betrugsbekämpfung, während E-Commerce-Giganten wie Amazon und Zalando mit KI-basierter Personalisierung und vorausschauender Logistik neue Maßstäbe setzen.
Aber bei aller Magie, die von KI ausgeht, darf man nicht vergessen, dass die Ergebnisse auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen und komplexen statistischen Modellierungen beruhen. Um valide Ergebnisse generieren zu können, braucht es vor allem eins: Möglichst viele und vor allem nützliche sowie saubere Daten. Kein Wunder also, dass das Thema Datenexzellenz – also die optimale Nutzung von Daten – immer mehr in den Fokus von Unternehmen rückt. Denn ohne Daten keine KI. Aber viele Daten alleine genügen nicht. Um einen Nutzen zu stiften, muss die Datenqualität gewährleistet sein. Denn auch in Zeiten von Big Data gilt: Garbage in, Garbage out.
Nun ist es mit den Daten in vielen Unternehmen so eine Sache. Denn am Anfang einer jeden Datenjourney steht die Vision einer bahnbrechenden Anwendung dieser Daten – quasi ein Goldtopf am Ende des KI-Regenbogens. Die ersten Schritte machen häufig die Mitarbeiter, die Daten einpflegen, bereinigen oder in sonst einer Form managen. Und genau hier treten Probleme zutage. Zwar sind sich alle einig, dass KI-Projekte wichtig sind und ein gut sortierter Datenpool vorgehalten werden muss; wenn es dann aber um die konkrete Umsetzung geht, driften Einstellung und Verhalten häufig auseinander. Daten werden erst gar nicht erfasst, nicht richtig vorgehalten, es entstehen Dubletten und Datenschnittstellen zu anderen Abteilungen werden nicht bedient. Dieses auch als Attitude-Behavior Gap bezeichnete Phänomen lässt sich besonders eindrucksvoll im Bereich Umweltschutz beobachten, ist aber auch beim Thema Datenmanagement omnipräsent.
Eine Ursache für das Attitude-Behavior Gap besteht in der psychologischen Distanz, die Menschen in vielen Situationen verspüren. Hierunter versteht man die gefühlte Entfernung eines Objektes oder eines Ereignisses auf einer zeitlichen, räumlichen, sozialen oder hypothetischen Dimension. Je weiter ein Objekt oder Ereignis psychologisch von uns entfernt ist, desto schwerer fällt es uns, konkrete Überlegungen hierzu anzustellen – unser Denken wird abstrakt und damit weniger relevant für eine konkrete Entscheidungssituation. Wenn uns ein Objekt oder Ereignis aber psychologisch nah ist, dann überwiegen konkrete Gedanken und Bedürfnisse.
Wir kennen diese Mechanismen aus dem Alltag: An Neujahr nehmen wir uns vor, regelmäßig Sport zu treiben, aber wenn es in der zweiten Januarwoche konkreter werden soll, schlagen wir die guten Vorsätze zugunsten der übrig gebliebenen Weihnachtsschokolade in den Wind.
Daten sind abstrakt, Ablenkung ist willkommen
Derselbe Mechanismus spielt auch beim Umgang mit Daten eine Rolle. Daten sind für die meisten Mitarbeiter abstrakt, genau wie die Analysen, die mit ihnen durchgeführt werden können. Anstatt sich also dem Pflegen und Konsolidieren von Daten zu widmen, beantwortet man lieber eine Mail oder bereitet das nächste Meeting vor. Das Ziel, mit gut gepflegten Daten spannende Analysen durchführen zu können, wirkt zu weit weg und zu abstrakt, so dass sich Mitarbeiter lieber einer konkreten Tätigkeit zuwenden, deren Ergebnis unmittelbar eintritt. Häufig arbeiten die Mitarbeiter auch nicht selbst mit den Daten, sondern liefern nur Teilstücke eines Datensets. Den Analyse- und Entdeckungsspaß haben dann gut bezahlte Data Scientists.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufwand für den einzelnen Mitarbeiter heute entsteht, während der Nutzen weit weg in der Zukunft liegt, unkonkret ist und nur schwerlich mit dem eigenen Handeln in Verbindung gebracht werden kann – die
Arbeit mit Daten kommt einem schnell als irrelevant vor. Ganz getreu nach dem Motto „Das macht doch eh keinen Unterschied“ wird schnell unsauber gearbeitet und die hastig getätigte fehlerhafte Eingabe landet in den Tiefen des Servers. Status quo ist dabei, dass der kurzfristige und einfachere Weg der Datenerfassung und -verarbeitung oft der „falsche“ ist. So wird in Unternehmen zur Steuerung eines bestimmten Arbeitsvorgangs oft die Zeit oder Menge als KPI herangezogen statt der Qualität des Arbeitsergebnisses. Das Anlegen einer Dublette geht häufig schneller als die Suche und Anpassung des ursprünglichen Datensatzes. Das führt zu ineffizienten Systemen und Prozessen, wie etwa dem parallelen Arbeiten in zwei bis drei Systemen für einen Arbeitsvorgang.
Checkliste zur Datenkompetenz
- Verschaffen Sie sich einen möglichst genauen Überblick über die System und Prozesslandkarte in Ihrem Unternehmen: Welche Daten fließen auf welchen Wegen, von Anfang bis Ende aller wesentlichen Prozessketten?
- Zeigen Sie, wie Daten im Unternehmen genutzt werden und welchen Mehrwert sie generieren: Je konkreter, desto besser!
- Datenmanagement in den Köpfen zu verankern, ist kein Sprint, sondern ein Marathon: Wiederholung ist wichtig!
- Etablieren Sie Datenkompetenz als ein zentrales Element interner Weiterbildung.
- Unterstützen Sie die „richtige“ Datenerfassung und -verarbeitung quantitativ und qualitativ: Der falsche Weg darf nicht der incentivierte sein.
- Holen Sie alle datenzentrierten Abteilungen mit an Bord: Kein Silodenken!
Falsche Besitzansprüche führen zu chaotischen Strukturen
Manche Organisationen sind zudem nach wie vor durch Silodenken geprägt, indem jede Abteilung die Hoheit über „ihre“ Daten behalten will – und dass, obwohl die Daten eigentlich alle dem Unternehmen gehören. Verantwortliche und ganze Teams entwickeln aber gerade bei aufwendig gesammelten oder vom eigenen Budget erworbenen Daten einen psychologischen Besitz, also ein Gefühl, dass es alleinig „ihre“ Daten sind.
Dabei wachsen auch häufig Ablage- und Datenstrukturen, die für Außenstehende (und teilweise auch für das eigene Team) zu einem undurchschaubaren Datendschungel werden. In der Konsequenz werden Daten nicht geteilt oder mögliche Austausche nicht forciert, die neue Opportunitäten mit sich bringen.
Wie kann man diesen Mechanismen begegnen? Um die psychologische Distanz zum Datenmanagement zu verringern, hilft es, dessen Mehrwert sichtbar zu machen. Leuchtturmprojekte, die den Nutzen einer auf den Daten aufbauenden KI-Anwendung veranschaulichen, machen das Ziel konkreter und vermitteln die Wirksamkeit des eigenen Tuns. Dabei muss deutlich gemacht werden, wie die einzelnen Datenerhebungen zum Ergebnis beigetragen haben und warum spezifische Datenformate sinnvoll sind. Und wenn es (noch) nicht die eigenen Projekte sind, so helfen auch Insights aus anderen, teilweise vielleicht fachfremden Bereichen, wie sie beispielsweise im Spotify-Podcast „Datenaffaire“ vorgestellt werden. Data Jour Fixes, in denen Best Cases gezeigt werden, helfen ebenfalls, eine Datenkultur zu etablieren und ein Verständnis für die Relevanz von Datenmanagement zu vermitteln. Damit wäre die Grundlage für ambitionierte KI Projekte gelegt.
Das Autorenteam
Prof. Dr. Dr. h.c. Marko Sarstedt ist Leiter des Instituts für Marketing an der Munich School of Management der Ludwig-Maximilians-Universität München und Gastprofessor an der Babes-Bolyai- Universität Cluj.
Martin Ridder ist kaufmännischer Geschäftsführer der eins energie in sachsen GmbH & Co. KG und verantwortlich für Vertrieb, Marketing, IT und Finanzen.
Felix Schwerin ist Geschäftsführer und Partner bei SMP Strategy Consulting und verantwortlich für die Betreuung der Energiebranche.
Der Artikel des Autorenteams ist erschienen in planung&analyse Ausgabe 01-2025.