Energie

Vom Prosumer zum Flexsumer

Perspektiven im Rahmen der Flexibilitätenwende

Als SMP Strategy Consulting durften wir in den letzten Monaten eine Vielzahl unterschiedlicher Versorger im Kontext Flexibilitätenmanagement unterstützen, und zwar sowohl auf der Vertriebs- als auch auf der Netzseite. Dynamische Tarife, HEMS, Umsetzung §14a – alles Puzzlesteine auf dem Weg in Richtung Flexibilitätenmanagement.

Im Folgenden werden wir eine kurze Übersicht über das Thema Flexibilitätenmanagement geben und anschließend ausgewählte Kernimplikationen und -fragestellungen für Versorger (spez. Lieferanten) vorstellen, die sich aus unserer Erfahrung hieraus ergeben.

Denn eins ist sicher: Die „Flexibilitätenwende“ hat das Potenzial, den Energievertrieb und die Branche in Summe grundlegend zu verändern.

Drei Arten von Flexibilitätenmanagment

Das Managen von Flexibilitäten per se ist nicht neu. Der bisherige Fokus allerdings lag – zumindest aus Endkundensicht –auf der zeitlichen Verschiebung von Verbräuchen innerhalb der eigenen vier Wände, also bspw. durch die intelligente Steuerung der eigenen PV-Anlage. Alles mit dem Ziel, die Eigenverbrauchsquote (sprich den Autarkiegrad) zu erhöhen und die Strombezugskosten zu reduzieren. Bis zu 30% sind hier typischerweise möglich (Quelle: VDE).

Ergänzt wird diese Art von Flexibilitätenmanagement zunehmend um zwei weitere Arten: der netzorientierten sowie der markt- bzw. handelsseitigen Nutzung von Flexibilitäten. Die Verschiebung von Lasten ist politisch gewollt und wird entsprechend regulatorisch forciert und incentiviert. Netzseitig betrifft dies vor allem die Umsetzung von §14a EnWG, also die netzorientierte Steuerung von Anlagen - inkl. variabler Netznutzungsentgelte – sowie perspektivisch auch §14c (bzw. zudem ganz aktuell §13k EnWG, auf den uns ein Projektansprechpartner dankenswerterweise erst kürzlich hingewiesen hat). Markt- und handelsseitig betrifft dies bspw. den Smart Meter Rollout, aber vor allem das verpflichtende Angebot von dynamischen Tarifen für alle Versorger ab 2025.

Marktgröße und -wachstum im Kontext Flexibilitätenmanagement

Das Wachstum an Flexibilitäten wird primär durch den Anstieg dezentraler Energieassets getrieben. Aufschlussreich sind hier folgende Marktzahlen: Laut VDE steigt das Flexibilitätspotenzial bis 2030 auf rd. 250 GW – u.a. durch den Zuwachs von 30 GW an Flexibilitäten bei Verbrauchen (Netzintegration von E-Autos und Wärmepumpen) sowie von 90 GW speicherseitiger Flexibilität (primär Heimspeicher). Lichtblick / Neon kommen in einer aktuellen Studie für 2030 auf ebenfalls >300 GW an dezentralen Flexibilitäten (Wallboxen, Heimspeicher, Wärmepumpen).

Schon heute verzeichnet der Trianel FlexIndex einen Anstieg von 100 in 2017 auf aktuell rd. 600 Punkten. Home Energy Management Systemen (HEMS) kommen als Schlüsseltechnologie im Rahmen von Flexibilitätenmanagement eine herausragende Rolle zu. Sicherlich, HEMS ist nicht gleich HEMS. Dennoch waren laut Lichtblick / EuPD Research in 2022 in Deutschland bereits rd. 700 Tsd. Geräte im Einsatz. Ebenfalls relevant: Die steigende Volatilität an den Beschaffungsmärkten. So hat sich laut FfE die über das Jahr gemittelte Standardabweichung auf dem Day Ahead Markt von rd. 25 EUR / MWh auf 57 EUR / MWh erhöht. Auch wenn 2022 sicherlich ein Ausnahmejahr war: Größere Spreads bedeuten mehr Potenzial für Spotmarktarbitrage, und damit höhere Erlösungsmöglichkeiten für digitale Geschäftsmodelle im Kontext von Flexibilitätenmanagement.

Preisliche Vorteile auf Kundenseite

Lastenverschiebung wird von Kritikern gerne als Nische abgetan. Der Großteil der Kunden habe kein Interesse, sich mit solchen „Spielereien“ zu beschäftigen. Das habe die Vergangenheit immer wieder gezeigt.

Hierbei werden jedoch die preislichen Vorteile für Endkunden außer Acht gelassen, welche durch den Einsatz von Flexibilitätenmanagement entstehen. So fallen bereits ab dem kommenden Jahr – je nach Netzgebiet – gut 150 EUR weniger an Netznutzungsengelt für Betreiber von §14a Anlagen an. Dies ist bereits eine sehr beträchtliche Incentivierung.

Hinzu kommen bspw. rd. 150 EUR für Endkunden mit dynamischem Tarif, HEMS und Wallbox, die Smart Charging nutzen (Quelle: GridX). Smart Charging bedeutet den Ladevorgang über Nacht so zu steuern, dass möglichst günstige Börsenpreise realisiert werden. The Mobility House bietet mit „eyond“ einen ähnlichen Betrag an (200 EUR p.a. oder 10ct pro „intelligent“ geladener KWh) – sehr spannend daran ist, dass dieser Betrag als monatlicher „Bonus“ ergänzend zu einem regulären Ökostromtarif mit fixem Grund- und Arbeitspreis angeboten wird (ZfK). Lichtblick / EuPD Research kommen für ein „Modell-Eigenheim“ mit dynamischem Stromtarif, PV-Direktvermarktung und Lastenverschiebung auf 350 EUR pro Jahr an Einsparungspotenzialen für Verbraucher.

Schon heute schreiten die „digitalen Attacker“ am Energiemarkt voran mit preislichen aggressiven Tarifen, die die Potenziale von Flexibilitätenmanagement ausnutzen. So bietet 1KOMMA5° seit kurzem eine „Strompreisgarantie“ von 15 Cent pro kWh, was gut 50% unter den aktuellen Strompreisen liegt. Der Tarif wird zwar aufgrund seiner Vielzahl an Bedingungen und „Kleingedrucktem“ in der Branche heftig diskutiert. So oder so ist das aber erstmal ein Wort, an dem sich andere Player messen lassen müssen. Enpal bietet ebenso an, die Einspeisevergütung durch Direktvermarktung von 8ct / kWh auf 16 kWh zu verdoppeln – und zwar garantiert.

Kernimplikationen für Versorger

Aus unserer Erfahrung ergeben sich im Rahmen der Flexibilitätenwende eine Reihe an Kernimplikationen bzw. -fragestellungen, die sich Versorger (Fokus Lieferanten) jetzt stellen sollten:

  1. Ausrichtung bzw. Weiterentwicklung der EDL-Strategie auf das neue Marktsegment „Flexsumer“:
    Der Großteil der Versorger war und ist weiterhin intensiv damit beschäftigt, ein skalierbares EDL-Angebot auf die Beine zu stellen. Sei es Material oder Handwerk – die Herausforderungen sind immens. Nichtsdestotrotz ist es jetzt an der Zeit, bereits den nächsten Schritt konsequent anzugehen: Wie stellen wir uns im Kontext der Flexibilitätenwende grundsätzlich auf? Wie müssen wir unsere EDL-Strategie anpassen? Welche Rolle spielt HEMS in diesem Kontext für uns? Wie bedienen wir die Bedürfnisse der Flexsumer?
  2. Entwicklung von dedizierten digitalen Geschäfts- und Erlösmodellen auf Basis von steuerbaren Energie-Assets:
    Die „digitalen Attacker“ machen es vor – Flexibilitätenmanagement bietet eine Vielzahl spannender, neuartiger Anwendungsfälle und Erlösmöglichkeiten. Sei es Spotmarktarbitrage, Remote Maintenance u.v.m. – wichtig ist, dass Versorger hier ihren eigenen Ansatz identifizieren und umsetzen. Sonst droht die Kundenbasis zu erodieren und die grundsätzlichen Wachstumschancen im EDL-Markt ungenutzt zu bleiben.
  3. Weiterentwicklung des Portfolios im Commodity-Bereich:
    Es wäre fälschlich zu glauben, dass Flexibilitätenmanagement nur für EDL-Kunden relevant ist. Zwar sind hier die größten Einsparpotenziale durch Lastenverschiebung zu realisieren. Aber allein der IMSys-Rollout und die verpflichtende Einführung dynamischer Tarife wird dazu führen, dass sich das Produkt- und Preisportfolio von Versorgern ebenfalls im Commodity-Bereich massiv verändern wird. Dies betrifft bspw. die Einführung von „Mischformen“ zwischen Festpreisprodukten und dynamischen Tarifen – je nach Risikoaffinität auf Kundenseite. Allenfalls ist es erforderlich, als Versorger hier eine klare Perspektive und Roadmap zu entwickeln – und sei es nur das gemeinsame Commitment, sich zunächst auf das regulatorische Minimum zu beschränken.
  4. Überprüfung der bisherigen Kundenportal- und Self-Service Lösungen:
    Lastenverschiebung und das Management von Flexibilitäten bedeutet, dass sich Verbraucher zukünftig anders mit ihrem Energieverbrauch beschäftigen werden. Nicht jeder wird dies dauerhaft und aktiv tun – die grundsätzliche Möglichkeit hierfür aber wollen die meisten Kunden. Dies hat in der Regel Auswirkungen auf die bisherigen Portal- und Self-Service Lösungen, die dies häufig so nicht abdecken. Schnell wird der Ruf nach einer separaten App als „Visualisierungslösung“ laut – aber dies muss nicht der richtige Weg sein. Wichtig ist, dass Versorger sich jetzt aktiv mit dieser Perspektive auseinandersetzen und einen klaren Pfad in Richtung Zielarchitektur anstreben.
  5. Durchführung einer zukunftsfähigen Make- or Buy-Analyse:
    Flexibilitätenmanagement – oder auch „Smart Energy Management“ – erfordert weit mehr IT- & Technologie-KnowHow als in den meisten Häusern vorhanden. Entsprechend wächst der Markt an WhiteLabel-Anbieter in diesem Segment – sei es GridX, Ison/KiwiGrid, RabotCharge, Lumenaza u.v.m. Umgekehrt hat allein die Umsetzung der Preisbremsen viele Häuser vor große Herausforderungen gestellt. Dies sollte aber nicht automatisch bedeuten, dass „Buy“ zwangsläufig der richtige Weg sein muss. Immerhin geht es hier um geschäftskritische Geschäftsfähigkeiten, die zukünftig über Erfolg oder Misserfolg am Markt entscheiden können.
  6. Perspektivisch: Reflexion der eigenen Rolle als Lieferant:
    Im Rahmen der Flexibilitätenwende werden die Schnittstellen zum Handel, Messstellenbetrieb sowie in Richtung VNB noch enger als vielleicht in der Vergangenheit. Energieflüsse werden zukünftig zunehmend bidirektional. Hierdurch ergibt sich die Konsequenz, dass die unterschiedlichen Marktrollen noch engmaschiger als in der Vergangenheit zusammenarbeiten werden müssen – und Grenzen möglicherweise perspektivisch zunehmend aufgelöst werden (im regulatorischen Rahmen). So oder so sollten Versorger ihr gelerntes Selbstverständnis hinterfragen, „nur“ die erfolgreiche Beschaffung, Lieferung und Abrechnung von Energie zu verantworten. Dies hat schon im Rahmen vom Aufbau und Skalierung des Lösungsgeschäfts nicht mehr funktioniert und wird perspektivisch womöglich nicht mehr ausreichen, um mittelfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Zusammengefasst: Die „Flexibilitätenwende“ hat das Potenzial, den Energievertrieb und die Branche grundlegend zu verändern. Versorger sind daher gut beraten, sich frühzeitig und konsequent hiermit zu beschäftigen – und klare Position zu beziehen.

Autor: Konstantin Schaller ist Partner bei SMP Strategy Consulting, wo er Energieversorger und Versicherer bei der Ausgestaltung und Umsetzung von Markt- und Transformationsstrategien begleitet.